Freitag, 8. Juli 2022

Wir hätten gern das Aschgrau... (Tag 12)

 Der Titel sagt ja hoffentlich jedem etwas. Falls nicht: Kontext.

Aufstehen, Dusche, Kaffee, Frühstück. Heute Käse-Polarbrod. Weil: muss weg. Zumindest der Käse. Wir packen und weil es so dolle regnet, warten wir mit dem Checkout noch bis zum allerletzten Moment. Es regnet, die Bäume biegen sich unter den Windböen. Der (hier allerdings wirklich geschützte) Fjord liegt zum Glück ruhig vor uns.

Kurz vor 11:00 haben wir aufgesattelt und verabschieden uns von unserem Host. Es war sehr nett in dem kleinen Appartement. Er gibt uns noch die (gute!) Info mit, dass der lange Tunnel, den wir heute durchradeln werden von dieser Seite aus konstant bergab geht. Juhu!

Wir radeln los, es geht natürlich direkt mal einen Hügel hinauf. Mein Kreislauf ist für sowas nicht gemacht. Auf und Ab geht es und zur Abwechslung heute auch mal durch Baustellen, wo der Asphalt auf der Straße fehlt. Ist superprima auf slippery Kiesel-Sand-Matsch-Gemisch zu fahren, vor allem, wenn man sie dich Straße noch Autos teilt.

Wir fahren auf einen recht hohen Berg zu. Es regnet beständig, aber nicht hart. Eher fällt der Regen ruhig und ausdauernd runter. Das ist gar nicht so störend. Als wir mehr nach Süden abbiegen, bläst es mich dafür fast um. Eine Böe erwischt mich exponiert und ich habe richtig Mühe gegen den Wind anzustrampeln. Endlich sind die schweren Packtaschen mal zu meinem Vorteil.

Die Berge vor uns ragen ein paar Hundert Meter rauf. Die oberen Zacken und Spitzen sind von Wolken verdeckt. Misty Mountains - nur auf der anderen Seite des Planeten. Das wunderbar lebendige Grün, dass die Berge bedeckt scheint heute eher matschig-bräunlich, so dass die Berge in diesem Wetter eher bedrohlich wirken.

Wir bleiben ein paar Mal stehen, um zu atmen und auch dieses Wetter aufzunehmen. Je mehr es windet, desto weniger stört einen übrigens der Regen. Naja, und wenn man natürlich dick eingepackt ist und wasserdichte Kleidung trägt. Ls Schuhe sind nicht mehr ganz dicht, aber zusammen mit dicken Neoprensocken geht es.



So schön es ist, dass der Tunnel vor Gryllefjord bergab geht, so sehr klar ist ja, dass man ein Teil dieser Höhenmeter vorher noch zurücklegen muss. Aber, to be fair, wir können die alte Straße sehen, die sich sehr steil mit nur wenigen Serpentinen über den Berg schlängelt. Da wäre ich wirklich nicht gerne geradelt. Also - der Tunnel isses. Ich ziehe vorher meine Sicherheitsweste über, wir drücken den Knopf, das Licht geht an. Autofahrer sind also gewarnt, dass Radfahrer im Tunnel sind. Der Tunnel ist zu Anfang sehr gut ausgeleuchtet. Dann wird es etwas spärlicher. Ganz kurz erschrecke ich mich vor meinem eigenen Schatten, der mich, durch die Abstände der einzelnen Beleuchtungselemente, immer wieder überholt. Während wir zügig durch den Tunnel radeln begegnet uns übrigens kein einziges anderes Vehikel. Auch gut.

Am Ende geht es direkt auf die Brücke und dann (obwohl man im Prinzip schon auf Normalnull ist) mit einigem Auf und Ab nach Gryllefjord. Das Wetter ist nach wie vor nicht gut, auch wenn der Wind im geschützten Gryllefjord fast abgeflaut ist. Ich checke zum hundertsten Mal den Wetterbericht. Die Böen (steifer Wind) sollen erst abflauen, wenn wir auf der Fähre sind. Das lässt eher darauf schließen, dass die Überfahrt eher unangenehm wird. Also atmen wir tief durch und planen mal wieder um. Wir schreiben den Campingplatz in Stave ein und fragen freundlich nach, ob wir eine Nacht skippen können (klappt!). Statt dessen mieten wir eine Ferienwohnung direkt in Andenes. Wenn ich auf der Fähre seasick werde, dann muss ich nur noch ein paar Meter bis zur FeWo schaffen. Außerdem nehme ich eine der neuen Reisetabletten (Cinnarizine, mal sehen, wie das so klappt. Postafen hat mich ja immer sehr krass müde gemacht für 20h oder so). Ich kaufe ein, eine Weile sitzen wir geschützt im Cafébereich des Supermarktes. L. telefoniert und arbeitet.

Später stehen wir draußen und treffen die anderen Radreisenden, die nach und nach eintreffen. Ein norwegischer Neu-Rentner, der seine Rente mit einer langen Radtour feiert und beginnt (supergute Idee!), außerdem ein Paar aus Kopenhagen, die ebenfalls ihr ganzes Gepäck auf dem Airport verloren hatten. Ähnliche Geschichte wie unsere, jeder hat am Ende zum Glück alles wieder bekommen. Sie machen ultralight bikepacking und sind mir wirklich sehr wenig Ausrüstung unterwegs. Sie hatten etwas mehr Pech mit dem Wetter als wir und wollen nun raus aus Norwegen und eher Richtung Finnland / Baltikum. Sie werden allerdings ein Jahr lang unterwegs sein und planen Großes! Ich wünsche den beiden auf jeden Fall einen superschönen, abenteuerreichen Trip ihres Lebens!

Wir rollern auf die Fähre und werden gebeten (zum ersten Mal) unsere Räder zu vertäuen. Das machen wir auch. Sieben Räder stehen am Ende zusammengekuschelt und hoffentlich sicher befestigt im Laderaum.

Wir gehen in den Passagierraum und setzen uns ans Fenster. Dann geht es los. Mir ist schon ziemlich mulmig, denn Kotzen auf nem Schiff ist echt kein Spaß. Stoisch schaue ich die nächste 1:40h auf die See. Wir sitzen vorn, ich kann die Wellen sehen und weiter draußen erst Senja (bye bye) und dann die Umrisse von Andoya. Die Mischung aus Reisetablette, leerem Magen (ich habe zur Sicherheit außer des Käsebrotes nix mehr gegessen) und beharrlichem Schauen, welche Welle als nächstes kommt (dann passt für mich nämlich das Gefühl zur Sicht) führen zum allergrößten Glück dazu, dass mir trotz der langen, großen, langsamen Dünung nicht schlecht wird. Was für ein Glück! SO EIN GROSSES GLÜCK!


Draußen vor dem regenbepeitschten Fenster der Fähre liegt eine bleigraue, offene See. Über das Meer ziehen lange Wellen. Das Wasser ist nicht aufgewühlt und angry, eher behäbig, aber in dauernder Bewegung, eher groß, breit, rollend. Darüber ein Himmel in allen Grautönen. Betongraue Wolken, die so tief hängen, dass man meinen könnte, dass wir bei jedem Wellenanstieg oben gegen die Wolken stoßen. Weiter hinten hellgraue Wolken, die die blau-grauen Berge teilweise verdecken und aus scharfen Konturen, unscharfe Linien zeichnen. Wir hätten dann gern das Aschgrau.



Wir legen am Hafen von Andenes an, lösen die grünen Seile mit denen die Räder vertäut warten und gehen von Bord. Wir wünschen allen Radelnden "God tur!" und fahren die paar Meter zu unserer FeWo. Da mir nicht schlecht ist (JUHU!!!), merke ich plötzlich, dass ich seit acht Stunden nichts gegessen habe. Ich habe sooo Hunger. Wir laden ab, dann gehen wir direkt zur Pizzeria und holen uns Pizza und Apfelkuchen mit Eis. Unnötig zu erwähnen, dass ich jetzt hier sitze und tippe, während ich viel zu viel Essen hatte. Macht nix. War trotzdem total lecker.

Mehr wird heute nicht passieren. Morgen wird ein aufregender Tag.