Samstag, 2. Juli 2022

Affenhitze - (Tag 6)

 Nachts gegen 3:00 höre ich Treppengetrappel. Scheint, dass die Vermieter aus ihrem Urlaub wieder zurück sind. Dann schlafe ich wieder ein.

Als wir das nächste Mal wach werden ist es gegen 9:00. Ich koche Kaffee, wir frühstücken Käsebrote. Der Käse muss jetzt noch aufgebraucht werden. Es sollten heute auch 30°C oder mehr werden, da können wir keinen Käse transportieren. Wir stellen fest, dass Transport von Lebensmittel damals auf den Lofoten im September einfach mal gar kein Problem war.

Wir packen alle unsere Sachen zusammen, stopfen noch hier und da ein bißchen und unterhalten und dann eine Weile mit den Vermietern. Krasser Akzent - ich höre richtig, das sind französische Norweger. Die Frau tut mir ein bißchen leid, sie wirkt etwas übernächtigt, muss aber mit dem Kinderwagen los, damit das quengelige Baby einschlafen kann. I feel her - das sind so die Dinge, die an der Babyzeit nicht vermisse.

Wir unterhalten uns mit ihrem Mann und reden auch über unsere geplante Strecke. Da fällt ihm ein, dass wohl auf Senja ein Tunnel gesperrt sei. HOLY FUCK. Wir haben diesmal keine Tunnel gecheckt. Also klar, wir haben vorher geguckt, ob alle Tunnel für Radfahrer freigegeben sind (ja), aber nicht, ob sie auch offen sind. Wir verschieben das Problem auf nach der Tagestour heute.

Gegen 11:15 sind wir abfahrbereit und verabschieden uns. Der Vermieter hatte uns noch beruhigt, dass der Anstieg gar nicht so schlimm wäre. (Spoiler: doch!). Wir radeln an Tag 6 also zum ersten Mal mit vollbeladenen Fahrrädern los und ich habe schon beim ersten Hügel im Ort das Gefühl, dass die Packtaschen mich einfach wieder zurückziehen. Wir fahren ein paar Kurven und dann liegt der Anstieg vor uns. Es geht ziemlich straight einfach nach oben und ich weiß, dass es zwei davon gibt. Und der erste Anstieg der harmlosere ist. Ich trampele so gleichmäßig wie möglich im ersten Gang und sehe dann ein, dass ich nicht von 0 auf 100 kann. Wir fahren also immer nur ein paar Meter, von Ausweichbucht zu Ausweichbucht und dann stehe ich und atme und wir schwitzen jetzt schon ohne Ende. Es läuft einfach nur so runter, es ist knalleheiß. Bei solchen Temperaturen hätten wir zu Hause jede Radtour einfach nicht gemacht und wären ins Freibad gegangen.

Ein paar Ausweichbuchten später wird der Anstieg steiler und ich habe Mühe überhaupt anzufahren. L. strampelt vor, legt sein Rad in den Straßengraben und holt dann meins. (Note to myself: der Sattel muss in der Neigung verstellt werden. Stichwort: Klötenhammer /CUX). Ich gehe langsam am Straßenrand weiter. Zwischendurch fahren an uns sehr freudige Radler mit viel Gepäck vorbei. Ich verstehe ihre Freude sehr - sie haben den Anstieg bewältigt und können sich bestimmt fast bis Tromsö rollern lassen.

Auch für uns geht es nun eine Weile bergab, wir können den größeren Anstieg allerdings schon sehen. Wir nehmen die zwei Hügel davor in einem Zug mit, dann halten wir an einem kleinen Parkplatz. Es gibt dort leidlich Schatten, so dass ich kurz sitzen und atmen kann. Meine Lunge tut weh. Ich bin genervt. Covid ist ein Arsch. Da lernt man bei Geburtsvorbereitungskursen und beim langen Lauftraining endlich wie man richtig atmet, auch wenn es anstrengend scheint, und dann - kriegt man so beschissene Lungenschmerzen. Und kann da nicht mal "anfassen". Arrrgghhhh.

Als wir fertig sind mit atmen und trinken und schwitzen und Viecher vertreiben, satteln wir wieder auf. Es kommt noch ein ganz kleiner Hügel, so dass man wenigstens ein bißchen Schwung holen kann. Dann trampele ich im ersten Gang und schaue nur noch auf den Asphalt (brandneu, stinkt in der Hitze) genau vor mir. Es gibt hier auch keine Haltebuchten, es gibt dafür moderat Verkehr und man kann schlecht anhalten. Ich würde wohl auch nicht wieder anfahren können. Ich versuche einfach nur zu atmen und zu treten. Atmen. Treten. Atmen. Treten. Ich habe nicht die Kapazität auf die Autos und Caravans zu achten, die mich überholen. Das müssen die halt selber hinkriegen. Ich kann auch nicht noch weiter am Rand fahren. Ich schwitze, es ist sengend heiß inzwischen, es gibt keinen Schatten (deutsche Alleestraßen it is!) und meine Finger sind so nassgeschwitzt, dass ich mich richtig am Lenker festkrallen muss.

Dann irgendwann. Die Kuppe. Und dann geht es hinunter. Der Wind scheint unentschieden zu sein. Manchmal kühlt er angenehm und man kriegt besser Luft. Manchmal ist der Wind richtig heiß. So wie ein heißer Landwind, der ans Mittelmeer weht an einem Tag, an dem die Sonne brennt.

Die Strecke wird nun "flach und gerade" - was meint, dass es beständig auf und ab geht, aber ohne, dass man größere Anstiege bewältigen muss. Allerdings auch ohne, dass man bergab ausruhen könnte. Zu unserer Linken gehen die Berge steilt nach oben. Ich möchte mich gern in die Schneereste legen. Zu unserer Rechten beginnt ein großer See, der Kattfjordvannet. Ein Schild informiert, dass es hier sowohl Elche, als auch Rentiere geben könnte. Ich verstehe aber, dass die Tiere sich nicht in die Nähe der recht viel befahrenen Straße trauen und vor allem bei der Affenhitze lieber im Schatten irgendwo den Tag verschlafen.

Wir halten zwischendurch kurz für ein Foto, werden aber direkt  von Viechern verspeist. Schatten gibt es auch nicht. Wir würden gerne eine längere Pause machen, essen, ausruhen. Aber ohne Schatten und Schutz geht das nicht. Also radeln wir weiter. Erst immer am See entlang und dann etwas später beginnt der Kattfjord. Wir radeln auf der südlichen Seite, die Straße ist gesäumt von Häusern und Zugängen zum wunderbaren Wasser. Ich möchte gerne reinspringen. Wir sehen Gänsefamilien im typischen Gänsemarsch über den Fjord paddeln. Und winken auch immer wieder anderen Radlern zu. Die Rennradfahrer sind hier sehr seltsam - die grüßen nett! Aber wir treffen auch einige, die genauso bepackt wie wir sind.

Irgendwann ist es so heiß, dass mein Kopf komisch wird. Zu unserer Rechten geht ein Weg zu einem Haus hoch. Dort stehen Bäume. Da bleiben wir einfach stehen und verteidigen unser Brot gegen die Viecher. Ist mir auch fast egal, ob da Viecher sind. Wir müssen eine Weile raus aus der Sonne. Ich bin müde und erschöpft. Wir haben 20km geschafft. Weitere 20km liegen vor uns. Leider finden wir nichts, wo man eine Weile richtig ausruhen kann und vor Viechzeugs und Sonne geschützt ist. Also radeln wir weiter. Für die Chronik: Ich sehe das erste ukrainische Auto hier oben. Es hat eine Dachbox. Ich denke, wenn man länger in Norwegen bleibt, braucht man unter allen Umständen eine Dachbox.

Der Rest der Strecke wird für mich etwas vage. Es geht auf und ab. Links Berg, rechts Fjord. Türkises Wasser. Die sengende Sonne. Alle Gedanken drehen sich kilometerweit nur um Schatten. Wir halten regelmäßig sehr kurz an, um zu trinken. Dann wird ein Tunnel angezeigt. 607 Meter lang. Wir halten an, um unser Licht anzuschalten. Ich schalte auch mein Helmlicht an. Vor dem Tunnel gibt es einen Schalter, den Radfahrende drücken sollen. Dann geht ein Licht an und alle Autofahrer wissen (hoffentlich), dass im Tunnel Radfahrer sind. Super Sache! Dann fahren wir in den Tunnel ein. Sechshundert-und-sieben HERRLICHE kühle, feuchte Meter. 607! Es scheint der Himmel auf Erden, dass es plötzlich so kühl ist.

607m, die dann doch recht fix vorbei sind. Uns trifft eine Wand aus flirrender Hitze. Aber wir haben schon deutlich über 30km geschafft. Wir radeln einfach weiter und weiter und weiter. Rechts beginnen Strände. Das merkt man zuerst daran, dass an jeder Bucht und überall dort, wo es vage nach Parkplatz aussieht, Autos stehen. Dann sehen wir die Strände - vollgepackt mit Badenden. Ich kann es soo gut verstehen. Es scheint, als wäre die halbe Bevölkerung heute an den Strand gefahren.

Endlich geht es rechts ab nach Sommeroy. Vor der Brücke halten wir, es gibt eine Ampel. Aber klar ist, den Brückenanstieg und die Strecke schafft man nicht in einer Ampelphase. Als frei ist, fahren wir los. Ich merke aber schnell, dass ich es nicht schaffe. Zum Glück gibt es einen kleinen erhöhten Fußweg. Dort hieven wir die Räder rauf und schieben bis zur Hälfte der Brücke. Dann geht es hui hinab und wir sind auf der vorgelagerten Insel. Wir radeln ein bißchen, passieren eine weitere Brücke und kommen dann am "Arctic Hotel Sommeroy" an. Checkin, absatteln, duschen. Wasser!!! Kühl! Erfrischend! Meine Haut ist überall schrubbelig und hat eine richtige Salzkruste.

Dann legen wir uns auf die Betten und würden eigentlich gern einfach ausruhen. Auch L. ist sehr erschöpft. Die Hitze fordert auch bei Menschen, die deutlich fitter sind, als ich, ihren Tribut.

Ausruhen ist nicht. Wir checken, was es mit dem Tunnel auf sich hat. Und das ist dann der Moment, in dem unsere Radtour über Senja ein jähes Umplanen erfordert. Die Nordroute ist gesperrt. Es gibt keine alte Straße oder eine ähnliche Umleitung. Wir müssen die Insel irgendwie im Süden queren. Dort, wo aller Verkehr langgeht. Dort, wo in diesem Sommer AUCH der Verkehr langgeht, der sonst oben rum gefahren wäre. Aber es gibt keine Alternative. Wir stornieren zwei Unterkünfte (kostenpflichtig, hrmf) und buchen zwei neue. Es wäre total gut, wenn die kurzfristig zu stornieren wären (weil wir etwas paranoid sind, ob der Neuplanung und auch einfach sehr müde und nicht sicher sind, ob unsere Planungen Hand und Fuß haben), aber es gibt im Prinzip gar keine Ausswahl. Wir müssen nehmen, was es gibt. Und der Wetterbericht sieht nicht nach "Zelten" aus.

Die Stimmung kriegt ein ziemliches Tief. Dann stelle ich um 17:34 auch noch fest, dass der örtliche Supermarkt um 18:00 schließt. Bisher hatte alles immer bis 22 oder 23h geöffnet. L. schmeißt sind in Schuhe und Rucksack und radelt wie irre los. Er schafft es rechtzeitig und bringt Getränke mit.

Wir raffen uns auf und gehen mit eher miserabler Laune an die nun leeren Strände. Wir wollten den Kocher anschmeißen. Essen ist heute viel zu kurz gekommen. Doch nun ist Mücken-Hochzeit. Wir enden schneller als Abendbrot, als wir welches zubereiten könnten. Also gehen wir mit verdüsterter Laune zurück und kochen auf dem Balkon. Es gibt Tomatenreis. Kurz darauf habe ich kaum mehr Laune und muss schlafen. Ich bin so erschöpft und jetzt mussten wir den schönsten Teil der Radtour, auf die ich mich so gefreut habe, umplanen. Der neue Plan beinhaltet 2x Busfahren *kotzi*. Doof. Alles doof.

L. rafft sich auf und geht gegen Mitternacht noch ein Stück den Berg hoch. Er macht fantastische Mitternachtssonnenbilder und schöne Fotos von den vielen kleinen Buchten und Stränden, die es hier überall an den kleinen Inseln gibt.

Ich schlafe.