Sonntag, 3. Juli 2022

Geduld ist eine Tugend... (Tag 7)

 Mitten in der Nacht wache ich auf. Wenn man nicht mehr ganz so jung ist, muss man leider auch nachts aufs Klo.

Ich wache zu ziemlichem Wind auf, es scheint auch zu regnen. Ich bin aber zu müde, um das alles richtig zu realisieren und verschwinde kurz im Bad. Als ich wieder ins Zimmer komme, sehe ich L. auf dem Balkon hinter unseren gewaschenen und zum Trocknen aufgehängten Klamotten hinterher klettern (zum Nachbarbalkon). Mein BH klebte vom Wind plattgedrückt schon an der Wand der Nachbarn. Offensichtlich war er geistesgegenwärtig genug um eins und eins zusammenzuzählen. Naja, reicht ja, wenn einer hier mitdenkt.

Wir gehen wieder schlafen, der Wind heult noch eine ganze Weile. Wellen schwappen an den Strand.

Wir stehen etwa zur gewohnten Zeit auf. Draußen ist es nicht mehr ganz so stürmisch, es regnet allerdings immer noch. Checkout ist um 12:00, dann soll auch der Regen nachlassen. Da unsere weniger als 10km entfernte Fähre (Brensholmen - Botnhamn) erst um 17:00 fährt, wollen wir so spät wie möglich auschecken. Beim Packen (so ganz smooth läuft die Packroutine noch nicht) bemerkt L, dass eine seiner Socken wohl davongeweht ist. Vom Winde verweht - Gore-tex-Sockenedition. Schade. Wir wollen später nochmal danach suchen, dass fällt uns aber erst ein, als wir schon lange vom Hotel weggeradelt sind.

L. holt Kaffee und Frühstück aus dem Restaurant, dann stärken wir uns erstmal. Weiteres rumräumen und packen und dann ist es bald auch 12:00. Wir checken aus, verstauen unser Gepäck im Baggageroom und spazieren eine Weile über die Insel. Es ist inzwischen trocken, aber noch immer bedeckt. Ab und an frischt der Wind wieder auf. Zuerst gehen wir runter zum Strand. Es ist Ebbe und man kann viele Muscheln, Schneckenhäuser und Kaltwasserkorallen sammeln anschauen. In den Wiesen um uns herum fiept und pfeift und zwitschert es ganz aufgeregt. Wir kehren auf die Straße zurück, um die Vögel samt ihrer Küken nicht unnötig zu stören.

Die Straße schlängelt sich weiter nach Norden zur Spitze der Insel. Dort gibt es eine kleine Anhöhe von der man aus einen schönen Blick auf die vorgelagerten Schären samt Stränden hat. Traumhaft. Wer ein Boot hat und dorthin fahren kann, hat eine ganze kleine Schäre samt fantastischem Sandstrand an türkisem Wasser ganz für sich.

Wir machen Fotos und gehen dann zurück zum Abzweig der Straße. L. ist dort nachts schon etwas wandern gewesen und wir wollen gemeinsam ebenfalls ein Stück hinauf und eine noch bessere Aussicht über Sommeroy zu haben. Die Straße endet an einem grünen Tortunneleingang. Militärbereich. Der Tunnel führt bis ganz oben auf den Berg, dort gibt es eine Radarstation. Noch letztes Jahr habe ich mich gefragt, warum zur Hölle man hier am Ende der Welt bloß eine Radarstation braucht. Tja. Jetzt wissen wir es alle. Von hier (und natürlich von noch weiter nördlich) erfahren wir zuerst, wenn Schiffe aus Murmansk auslaufen und gen Süden fahren. Hoffen wir, wir erfahren das alles nicht, weil es nicht passiert.

Es Trampelpfad geht ab und direkt nach ein paar Metern beginnen Steinplatten, die den Weg hoch markieren. Es ist so steilt, dass ziemlich von Anfang an ein Seil gespannt ist, an dem man sich festhalten kann. Das ist mir nicht ganz so geheuer, vor allem, weil einige Bereiche noch nass vom Regen sind. Wir gehen daher ganz langsam und vorsichtig, klettern ein bißchen den Berg hoch und halten an, als man eine tolle Aussicht hat. Das reicht mir dann schon, immerhin muss ich ja auch wieder zurückkommen. Den Kindern hätte der Weg hier sicher super gefallen und die wären ruckzuck hochgeklettert, während man selbst atmend versucht hätte "Seid vorsichtig!" zu rufen.

Wir klettern zurück, nachdem wir ausgiebig fotografiert haben. Dann spazieren wir zurück zum Hotel und beginnen die Räder aufzuladen. Über die erste Brücker rüber und dann halten wir schon an. Wir wollen am kleinen Matkroken essen. Es gibt Hamburger und Pommes für L., Fish & Chips für mich. Lecker Fastfood.

Danach ist es kurz nach 15:00. Wir verabschieden uns von der Karibik Norwegens und radeln über die Brücke zurück aufs Festland und die paar Kilometer rüber nach Brensholmen. Dort steht schon eine Schlange aus Caravans und Autos. Als Radfahrer hat man es ja gut und kann ganz nach vorne fahren.

17:00 Ferge innstilt. - Die 17:00 Fähre fällt wegen technischer Probleme aus. Na super. Zum Glück gibt es heute noch drei weitere Fährabfahrten, die nächste um 19:00. Blöd nur, dass es jetzt gerade erst 16:00 ist. Also warten wir wohl, zusammen mit Italienern, Franzosen, Norwegern, Finnen, Türken und anderen Touristen. Die Italiener verunsichern uns kurz. Offenbar warten sie schon länger und sind nicht auf die 12:15 Fähre gekommen. Jedenfalls sagen sie uns, dass Radfahrer nicht mitkönnen. Das ist sehr seltsam, denn natürlich hatten wir das vorher gecheckt. Selbstverständlich können Radler und Fußgänger auf die Fähre, sogar gratis. Ich frage zur Sicherheit einen Radfahrer, der sehr wenig Gepäck hat und ich daher annehme, er sei local. Er sagt, was wir wissen. Radfahrende werden immer problemlos mitgenommen.

Nun denn. Wir warten. Ich beschließe, die letzten Tage zu verbloggen. L. sitzt ein bißchen, geht auf eine Anhöhe und fotografiert. Nebenbei höre ich, wie sich ein paar deutsche Touristen über so ziemlich alles beschweren und schäme mich etwas für diese Landsleute. Wer im Juli zur Haupturlaubssaison mit seinem riesigen Caravan nach Tromsö einfährt ohne vorher mal irgendwas nachgeguckt zu haben, der darf sich auch einfach nicht beschweren, wenn es dann keine Unterkunft gibt. Aber überhaupt, die fragen sich auch, warum es hier keine Lachsbrötchen zu kaufen gibt. Naja. Ich rolle mit den Augen. Dann setzt sich ein deutsches Paar an die Bank-Tisch-Kombi (alles als ein Teil zusammengeschraubt) neben uns. Die Frau ist deutlich adipös, der Mann eher spillerig. Sie setzen sich auf die gleiche Seite der Bank. Und als der Mann aufsteht und die Frau erst ein paar Sekunden später gleiches versucht, passiert, was die Physik nun mal vorgibt. Beide können drüber lachen, ich versuche sehr konzentriert auf das Notebook zu schauen. Natürlich beschimpft sie ihren Mann, natürlich ist der Schuld. Was steht der auch auf. Tja.

Wir essen einen Apfel und trinken unseren Kaffee aus. Geduld ist eine Tuuuuugeeeennnddd. Es kommen noch Wanderer und andere Radreisende, man nickt sich freundlich zu. Wir warten. Dann ist es irgendwann tatsächlich gegen 19:00 und die Fähre kommt. Die Fähre spuckt Autos und Caravans aus. Dann ist es kurz still und kurz darauf schiebt sich sehr langsam ein riesiger Actros Centurion heraus. Das ist ein LKW-großes, obzönes Wohnmobil. Wir Radfahrenden schauen uns gegenseitig kopfschüttelnd an.

Wir können mit den Rädern zuerst auf die Fähre. Es gibt eine Einbuchtung, wo wir alle unsere Räder gegeneinander gelehnt abstellen können. Als wir zum Passagierbereich hinaufgehen, kommt uns köstlicher Waffelduft entgegen. Natürlich besorgt L. uns eine Waffel. Wir unterhalten uns mit einem Schweizer Radler und erfahren, dass er schon länger unterwegs ist. Auch er musste seine Strecke wegen des gesperrten Tunnels umplanen, macht sich aber weniger Sorgen ob des Verkehrs. Da er wohl überwiegend zeltet, ist auch Unterbringung für ihn kein Problem. Er erzählt noch, dass er in der Schweiz gestartet ist, durch Deutschland geradelt und mit der Fähre nach Helsinki weiter. Von dort dann bis zum Nordkapp. Drei Monate will er insgesamt unterwegs sein. Ein Geschenk an sich selbst zum 50sten Geburtstag, als großer Ausgleich für 23 Jahre Kinder großziehen. Was für eine großartige Idee. L. möchte direkt mit seinen Geburtstagsplanungen beginnen. Der Schweizer erzählt, was wir schon häufiger gehört haben. Das Pedalieren über hunderte Kilometer schnurgerader Straße in borealem Wald ist sehr schnell sehr eintönig.

Die Hurtigrute quert vor uns den Fjord. Wir können nochmal nach Sommeroy rüberschauen und dann legen wir auch schon in Botnhamn auf Senja an. Unsere superniedliche, comfy Hütte ist nur fünf Minuten Fahrt (und weitere 5 Minuten einen steilen Berg hochschieben) entfernt. Eine kleine Hütte, super schön eingerichtet, total cozy und mit allem, was man so braucht. Wir kochen heute Reis-fit Kichererbsen mit Quinoa und dann gehe ich schon bald schlafen, während L. noch eine quartalsfällige Steuer macht.