Sonntag, 17. Juli 2022

Dronningsstien - Coastal Path... (Tag 21)

 Für heute ist Dauerregen angesagt. Aber nach dem Frühstück regnet es gar nicht. yr.no sagt, es soll auch gar nicht mehr regnen.

Was für ein Glück, dass wir alle so flexibel sind und uns schnell umentscheiden können. Wir überlegen also, ob wir heute den Küstenpfad von Klo nach Langenes abwandern oder von Stø rüber zum wunderschönen Skipssand Strand. Da haben die Kinder natürlich eine klare Meinung zu.

Wir suchen also die Wanderklamotten raus, das dauert naturgemäß etwas, bis sechs Personen wirklich abmarschbereit sind. Ich fülle derweil Getränkeflaschen auf und packe ein paar Snacks zusammen. Wir haben heute kleine Zimtschnecken, Pickup-Bruch, Äpfel und Snackmöhren.

Da es irgendwie zu dauern scheint, bis alle in die Hufe kommen, schmelze ich Butter und mische diese mit Milch und Hefe. Ich denke mir ja, da bin ich Fuchs. Mache ich schonmal Hefeteig für Kanelsnurr und wenn wir von der kleinen Wanderung (das Wetter!) zurückkommen, brauche ich die nur noch formen und in den Ofen schieben. Leider sind unsere Mehlreserven kleiner, als erwartet. Eine große Packung, die ich Mehl zuordnete, sind Haferflocken. Mist. Ich stelle das Hefe-Butter-Milch-Gemisch also in den Kühlschrank und hoffe, dass es bis morgen frisch bleibt und die Hefe dann trotzdem noch aufgeht.

Tatsächlich sind irgendwann alle abmarschbereit. Wir fahren die 6km nach Stø und parken dort. Zuerst gehen wir über den Campingplatz und die Hafenmauer und hoffen, dass auf den Inseln davor irgendwo Adler sitzen. Tun sie aber nicht. Ich entdecke drei Adler hoch oben über der Radarstation kreisen. Es regnet etwas. Der Regen. Der Wetterbericht. HURZ.

Naja, egal. Wir sind ja alle gut eingepackt und wir können das Wetter ja live und in Farbe sehen. Wobei es gar nicht so farbig ist, denn die Wolken spielen 50 shades of grey. So über dem offenen Nordmeer ja auch ganz hübsch zu betrachten.

Wir spazieren zum Wandereinstiegspunkt. Skipssanden liegt auf dem einfachen (grünen!) Teil des Dronningsstien. Alles ist sehr sehr matschig und teilweise auch rutschig. Aber doch noch gut gehbar mit entsprechendem Schuhwerk. Wir wandern bis zum Strand und lesen interessiert die vielen neuen Infotafeln. Hier gibt es noch (für Laien eher nicht erkennbare) Reste von steinzeitlichen Gebäuden. Was Steinzeitmenschen in diese verlassene, wir weitwege Gegend verschlagen hat, will ich mir gar nicht vorstellen. Auch etwas weniger alte, trotzdem hunderte Jahre alte Fischerdorfreste kann man wohl erspähen.

Der Strand selbst ist gut zu finden. Wir kommen über eine Kuppe und bleiben genauso begeistert stehen, wie damals. Unter uns erstreckt sich ein großer, wunderbarer Strand. An den auch eine tote Robbe angespült wurde, ich beschönige nichts. Das gehört eben auch dazu. Hier kommt kein norddeutsches Räumteam jeden Morgen und Abend, um den Strand zu harken und von Hinterlassenschaften aller Art zu räumen. Die Bewohner und Touristen hier scheinen glücklicherweise  eine Evolutionsstufe erreicht zu haben, die es ihnen ermöglicht, Müll wieder einzustecken und mitzunehmen.





Die Kinder spielen am Strand sofort los, vor allen an den kleinen Einschnitten, von deinen Süßwasser von den Bergen runter an den Strand läuft. Die mini Canyons, die sich dabei im Sand bilden, sehen an manchen Stellen aus, wie ein winziges Grand Canyon Modell. Ich gucke aufs Wasser, wo zwei Vögel, die ich nicht gleich zuordnen kann (es sind recht junge Trottellummen) herumdümpeln und immer wieder abtauchen. Und ein kleiner Vogel mit sehr charakteristischem Schnabel. Synapse eins feuert los: Puffin! Eine andere Synapse: Haha, nee. Das kann ja keiner sein. Die sind doch weiter draußen. Synapse eins: DOHOCH!!!

Und weil Doohhhooochh! ein absolut valides Argument in jeder Diskussion ist, gewinnt Synapse eins. Unter Umständen, weil ich alles aus meinem 12-35mm Objektiv raushole und dann noch in der wirklich recht verschwommene Bild reinzoome.

Zack, zack! Ich treibe L. an, aus seinem Rucksack in nullkommanix das Vogelobjektiv zu kramen und an die Kamera zu schrauben. Wir laufen den Strand auf und ab um den Puffin zu verfolgen und kriegen tatsächlich ganz bezaubernde Bilder. Dafür muss man aber schon ständig hin und her, denn der Puffin taucht, fängt Sandaale und legt erstaunliche Strecken dabei zurück. Man weiß nie, wo an dem wirklich langen Strand er wieder auftaucht. Adleraugen wären da sicher ganz hilfreich. Aber die Seeadler kreisen immer noch hoch oben über der Radarstation.

Während wir knipsen, kommt eine weitere Familie mit einigen Kindern an, die sofort beginnen ein Stand-Up-Paddleboot aufzupumpen. Ich tippe mal auf Finnen oder Norweger, denn die Kinder sind ruckzuck samt Paddelboot auf und im Wasser. Naja, das Wasser wird sowas zwischen 10 und 12°C Grad haben, wärmer ist die Luft auch nicht (der Regen hat vorerst aufgehört). Da ist der Unterschied zwischen im Wasser sein und draußen ja praktisch nicht vorhanden. Der Minimann und der Große wollen auch baden.

Weil die Wolken sich weiter draußen auf dem Meer austoben und es Richtung Nyksund beinahe freundlich aussieht (nur Wolken in hellem Grau), entscheiden wir uns den Coastal Path noch etwas weiter zu wandern. Bis zur Schutzhütte ist der Weg gangbar, aber es ist wirklich gar nicht so einfach auf dem durchgematschten Trampelpfad zwischen den Felsen sicheren Tritt zu finden. Der Minimann mault, er wäre ja so ein Draufgänger und liebte Herausforderungen, aber er hätte ja Angst.

Ich tippe eher auf nasse Schuhe und wenig Lust und so gehen wir weiter, nur eben begleitet von Maulebert. Bis zur Hütte ist es auch gar nicht so weit, vielleicht einen Kilometer. Dort machen wir eine Snack- und Pokestop Pause. Das Wetter hält sich und L. schlägt vor, dass wir uns aufteilen.

Nein, hier beginnt jetzt kein Horrorfilm, sondern die supererwachsene, vernünftige Verteilung der Personen. Denn: wenn wir bis nach Nyksund wandern und dabei herausfinden, ob wir uns über den Berg trauen, sind wir 19km Straße von Klo entfernt und kommen von Nyksund nicht einfach so wieder weg. Und zweimal über den Berg ist wahrscheinlich auch etwas zu viel.

M. will wegen seines lädierten Fußes eh lieber zurück und der Minimann mault ja eh. Der Große ist teenagerlich unentschieden und einsilbig und macht alles mit. Freund E. lässt sich auch motivieren. Also gehen L., Freund E., der Große und ich weiter.





Der Küstenpfad hinter der Schutzhütte ist auch erstmal wirklich flach und gerade und darüber hinaus mit Bohlen ausgestattet, so dass wir eine ganze Weile zügig voran kommen. Einige andere Wanderer sind auch unterwegs. Da fühlt man sich gleich nicht so allein.

Auf dem letzten der drei obigen Bilder sieht man den "Dip" - dort müssen wir recht steil hoch, rüber und auf der anderen Seite dann wieder runter. Das wird sicher nicht ganz einfach, vor allem mit all dem Matsch. Unten am See gibt es ein paar Hütten, die genau am Weg liegen. Dort kommt man nur über einen kleinen Bach rüber. Der zum Glück von vielen auch größeren Steinen durchsetzt ist, so dass wir trockenen Fußes rüberkommen.

Die Hütten markieren den Beginn des Aufstiegs. Was erstmal recht gut geht, auch wenn es steil ist und die Höhenmeter zackig zulegen. Aber noch sind links und rechts kleine, gedrungene Birken überall, an denen man sich festhalten kann.






Dann wird es nochmal steiler und wir sind froh über jeden Absatz, an dem man sicher stehen und atmen kann. Wir sind alle sehr froh, dass es nur 11°C oder so sind, bei 25°C und mehr, würde man einfach nur zerfließen.

Wir hangeln und klettern weiter hoch. Zum Glück findet man überall genug Halt. Doch in guter Sichtweite von "nicht mehr viele Höhenmeter bis zum Durchgang auf die andere Seite" erreichen wir zuerst mal die Baumgrenze. Keine Birken mehr, an deren Stämmen man sich abstützen kann. Ein paar Meter weit schmiegt sich der schmale Pfand an den Berg und folgt dessen Verlauf, so dass wir auf einer Höhenlinie etwas "um die Biegung" kommen. Doch dann bleiben die letzten, an Steilheit nochmal zunehmenden Höhenmeter. Wir machen langsam und vorsichtig. Einen Fuß vor den anderen. Immer erst treten, testen, sicher stehen. Dann weiter. Teilweise gehe ich etwas in die Hocke, damit ich mich mit den Händen an vorstehenden Felsen abstützen kann. Zurückschauen möchte gerade keiner von uns, auch wenn die Aussicht zurück Richtung Stø wirklich fantastisch ist. Aber die Steilheit eben auch krass sichtbar und nicht mehr verschleiert durch immerhin halbhohe Vegetation.

Wir erreichen die Anhöhe, die uns das Queren des Berges erlaubt und sind umgeben von noch höheren Bergen. Wir genehmigen uns einen schnellen Snack aus Möhren, Wasser und Keksen. Dann schauen wir in Richtung Süden, dort wo der schwierige Teil des Dronningsstien weiter geht. Und sehen graue Wolkenschwaden die schnell auf uns zutreiben und die ersten Bergspitzen schon verschluckt haben. Bergselfie von uns vieren und dann weiter.

Um runter nach Nyksund zu kommen, erklimmen wir erst noch ein paar Meter der Spitze neben uns. Und sehen dann den Pfad runter. Keine "Treppen" im Sinne von Trampelpfad, der durch Felsen, Steine und ausgetretene Pfade Schritt für Schritt gangbar ist. Sondern ein matschiger, nasser Erdpfad ohne Absätze, der ziemlich direkt nach unten führt. Man sieht, wo andere Wanderer kleine Erdrutsche ausgelöst haben, wo Erde und Kiesel weggerollert sind. Ich sehe L. an, dass er mit sich und seiner Höhenangst kämpft. Ich horche in mich rein, bin aber zu erschöpft, als dass mein Gehirn in den Panikmodus schalten würde, den er sonst sicherlich hätte. Freund E. schaut nur und lässt die Szenerie auf sich wirken - grandiose Aussicht rüber aufs Meer, eingefasst von schroffen, abweisenden Felszacken, die sich -obwohl wir schon einigermaßen hoch sind - noch höher um uns herum drängen. Unter uns ein paar rote Hüttendächer, ein See. Der Große kämpft viel mehr mit seiner Höhenangst, es fließen die ersten Tränen.

Laaange Wander- und Kindererfahrung lassen uns in den Erwachsenenmodus schalten, der beim Großen am besten wirkt, auch wenn es nicht sehr nett ist. Aber ich weiß, wenn ich ihn jetzt tröste und zu nett bin, lässt er sich komplett gehen in all seinem Urvertrauen. Dann kommen wir aber unter keinen Umständen den Berg runter, weil er dann erstmal alle Tränenschleusen öffnet. L. denkt das gleiche wie ich. Wir reden also auf den Großen ein, dass er jetzt nicht weinen soll, sich zusammenreißen und das wir das jetzt gemeinsam schaffen. Eher militärischer Drill - aber ich weiß, das hilft ihm gerade mehr.

Tatsächlich beißt er literally die Zähne zusammen und im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen krabbeln wir im Krabbengang und teilweise auf allen Vieren poporutschend den Hang runter. Immer schön langsam, immer mit Bedacht. Jeder mit einer Aufgabe. Immer nach hinten fragend, ob alles okay ist.

Da es sehr steil runtergeht sind die Höhenmeter zum Glück auch bald hinter uns. Fünfzehn Minuten sehr anstrengende und konzentrierte Minuten später erreichen wir die erste Hütte. Ab dort wird der Weg wieder besser, es gibt Felsen, die Höhenmeter liegen fast hinter uns, es gibt Birken. Man findet mit den Füßen überall Halt. Uff. Atmen. Viel atmen.

Ich suche ein Taschentuch raus, damit der Große sich die Nase putzen kann und sage automatisch: Und jetzt putz dir mal die Zähne.

Ähem ja. Das bricht aber immerhin beim Großen die Anspannung. Ein Apfel und eine Möhre füllen die Kraftreserven wieder auf und bald plappert er wieder jedem von uns einen Knopf an die Backe. Puuuuuhhhhh - Höhenangst besiegt, Moment überwunden. JETZT kann man ihn in den Arm nehmen und loben. Jetzt freut er sich, es geschafft zu haben, auch wenn das mulmige Gefühl sicher noch nicht ganz abgeebbt ist.






Wir erreichen Nyksund. Ich habe M. bereits Bescheid gesagt, dass er losfahren kann, um uns einzusammeln. Um uns die Zeit zu vertrieben, drehen wir noch einen Pokestop und schauen, was sich seit 2018 verändert hat (sehr viel!) und freuen uns an den bunten Häusern in Nyksund. Es ist richtig was los, die Restaurants gut gefüllt und überall riecht es so lecker!

M. sammelt uns ein. Im Auto ist es eine Weile sehr sehr still, denn die Straße nach Nyksund ist nach wie vor nicht geteert und sehr schmal.


Später erzählt M. dann aber, dann er und der Minimann auf dem Rückweg ganz viele Möwennester entdeckt haben und eine spannende Rückwanderung erlebten. Ganz ohne Gemaule by the way.

Wir essen alle zusammen leckeres Abendbrot (Reis und Stew), dann verschwinden die müden Kinder und auch Freund E. im Bett. M., L. und ich bleiben ein bißchen bei Youtube hängen. Als ich ins Bett gehe, zieht L. sich um, um Laufen zu gehen. Heute hat er ja eine gute Motivation, denn der Mietwagen steht ja noch in Stø.