Freitag, 28. September 2018

Nyksund (Tag 17)

Ich sag es schon mal vorweg: auch dieses Posting enthält zu viele Superlative. Aber so ist es nun mal, es ist einfach sehr sehr grandios hier und hinter jeder Kurve neu, anders, spektakulär, atemberaubend. Das Farbenspiel des Herbstes macht alles noch bunter, krasser, die Berge wirken oft wie gemalt, die Panoramen wie aus einer anderen Welt. Aber das ist ganz echt und an dieser Stelle möchte ich mal darauf hinweisen, dass die Fotos hier alle unbearbeitet genau so aus der Kamera kommen. Keine raw-Dateien, die noch angepasst wurden, keine Filter, kein Photoshop.

Nachdem mein Knie gestern ja heftig protestiert hat und ich nachts Mühe hatte irgendwie aus dem Bett zu krabbeln, heute also keine Radtour und möglichst wenig sonstiges. Dann war allerdings das Wetter super. Also: wenig Wolken, viel Sonne, kein Wind, mit Rauhreif überzogene Dächer und Wiesen.

Während ich die Kaffeemaschine anstelle, scheuche ich L. schnell raus, um den spiegelnden Fjord vor dem Haus zu fotografieren.






Nach dem Frühstück lassen wir es dann aber ganz ruhig angehen, ich kühle mein Knie, mache Dehnübungen und lese mit hochgelegtem Bein ein wenig das Internet leer, um herauszufinden, was wir heute unternehmen könnten.

Die Wahl fällt dann recht zügig auf Nyksund / Stø / Dronningsruta. Was findet man über den Königinnenweg so heraus? Tagestour, 15km Rundkurs, allerdings mit einem "einfachen" Coastal Path. Das klingt ja ganz so, als könnten wir dort ein bißchen an der Küste wandern, ohne das wehe Knie weiter zu überfordern. Denken wir so (stellen Sie sich hier einen Norweger mit rollenden Augen vor).

Wir fahren nach Osten hoch zum Pass, durch den Tunnel und zurück Richtung Sortland, biegen aber vorher nach Norden ab. Wir machen die üblichen 234840956 Fotostopps und ich fotografiere auch fleißig während der Fahrt. Ab und zu erwischt an da auch echte Fotoperlen und nicht nur unscharfe Verkehrsschilder. Wir durchfahren Myre und sind erstaut, dass es hier eine "richtige" Stadt mit allem drum und dran gibt. Dann biegen wir nochmal weiter nach Norden ab und erreichen über eine "romantische Küstenstraße" (aka viele Kurven, viele Höhenmeter rauf und runter, noch sehr viel mehr Kurven und das alles eng zwischen Küste und Bergwand gequetscht) den Parkplatz vor Nyksund.






Nyksund ein vormals aufgegebenes Fischerdorf, dann in den 1980ern und 1990ern wiederbelebt und heute Künstlerdorf und Touristen-Stop. Hier also wanderte die norwegische Königin entlang. Wir schauen uns die Informationstafel mit der eingezeichneten Route an und beschließen, dass die Höhenmeter machbar sein sollten, bevor man auf den tiefer gelegenen Küstenpfad kommt.

Munter marschieren wir los. Mein Knie "geht so". Bergauf etwas doof, auf gerader Strecke nach ein paar Metern okay. Natürlich geht es gleich recht steil hinauf bis zu einem See, dessen Ablauf über künstliche Stufen ins Meer geführt wird. Das Wetter ist herrlich, 1°C, Sonne, nur wenige Schäfchenwolken und keine Regenfront in Sicht. Wir folgen den rot markierten Steinen und stellen auf einem ausgedehnten Geröllfeld fest, dass es wohl doch nicht so einfach ist. Der Pfad, der schließlich zum Küstenwanderweg führen soll, führt zu aller erst mal extrem steil gerade auf einen Bergkamm zu. Nein, man erwandert nicht ein wenig steil den Kamm (vorzugsweise in Serpentinen),  um dann auf dem Kamm weiterzugehen. Eher stelle man sich einen Bergkamm vor, denn man von der steilen Seite aus gerade erklimmt, sich dann über den Kamm schwingt und auf der anderen Seite wieder runterklettert.

Da überall Schneereste liegen und wir wissen, dass das Wetter sehr schnell kippen kann, ist die Wanderung damit vom Tisch. Wir sehen jedoch eine reflektierende orange Jacke auf dem Berg direkt über Nyksund und obwohl es für das überlastete Knie wahrscheinlich nicht die beste Idee ist, entscheiden wir uns, dem Wanderer auf diesen Gipfel zu folgen. Wir hoffen, dass man von dort oben ein schönes Panaroma machen kann.

Es geht steil bergauf, teilweise ist es rutschig, schneeig oder es liegt loses Geröll herum. L. ist heute etwas mulmig zu Mute, aber da das Wetter so wunderbar ist und das Wandererpaar es vor uns ja auch geschafft hat, erklimmen wir gemeinsam den Gipfel. Ja, wir werden mit einer spektakulären Aussicht auf das Meer, die Schären, die schneebedeckten Berge und Nyksund belohnt. Für ein richtiges Panorama müsste man jedoch recht unsicher und sehr exponiert auf nassem Gras stehen. Das machen wir lieber nicht.






Wir knipsen trotzdem wie wild und gehen dann ein paar Meter runter, um an einem geschützten Platz Mittag zu essen. Es gibt belegtes Polarbrød und heißen Tee. Die Aussicht ist so wunderbar, dass man sich nicht satt sehen kann. Satt essen aber schon. Und nach einer Weile beginnen wir den Abstieg, sehr vorsichtig, es ist auf dem Weg nach unten immer noch etwas rutschiger. Außerdem protestiert die überlastete Kniesehne jetzt erst richtig. Ebenerdig gehen war ja okay, bergauf grenzwertig, aber runter geht gar nicht. Nun ja, ich kann ja schlecht auf dem Berg bleiben.

Unten wieder angekommen spazieren wir weiter nach Nyksund rein und finden sogar ein geöffnetes Café, wo wir uns mit Kaffee und Kuchen stärken. Wie uns das Schild am Ortseingang mitteilt, haben wir einen weiteren Breitengrad überschritten und sind nun auf 69°N 15°E. Gemütlich gehen wir zurück zum Auto, doch los fahren können wir nicht.





Ich habe auf den Felsen unten am Meer ein paar Kormorane entdeckt und L. wechselt schnell auf das Tele. Knips knips, knips - dann kommt ein weiterer Kormoran dazu und ich hoffe schon auf tolle "Gefieder trocknen" Bilder, als der Akku der Kamera aufgibt. Objektiv ruckzuck auf meine Kamera gemounted, dann hab ich versucht zu fotografieren, während L. seinen Akku wechselt. Der Kormoran war uns gnädig und wir haben ein paar schöne Bilder bekommen.




Mit Tankstopp in Myre machen wir uns auf den Rückweg nach Ringstad, nicht ohne weitere Male zum Fotografieren anzuhalten. Kurz überlegen wir, unten im Restaurant zu essen, aber das Menü bietet heute gegrillten Wal. Nein, nein. Ich möchte Wale beobachten und nicht essen. Während L. ein paar Arbeitsmails beantwortet (selbst und ständig), koche ich also Reis, schmeiße Salami dazu, brate Spiegeleier und knipse zwischendurch mal fix die "blaue Stunde" aus dem Fenster.