Donnerstag, 27. September 2018

Hovden (Tag 16)

Wer ein wenig über die Vesterålen liest, stößt schnell auf den Wanderweg zwischen Nyvåg und Hovden an der Westküste. Der Wetterbericht sagte für heute zur Abwechslung mal keinen Regen-Schnee-Sturm-Hagel-whatever an, sondern leichte Bewölkung und trocken.

Wir entschieden uns deshalb mit den Rädern nach Hovden zu fahren und das Auto stehen zu lassen. Das wären so gute 30 km einfacher Weg, bei passablem Wetter eine prima Strecke. Ich packe Essen zusammen, wir schichten unsere Kleidung und pedalieren dann munter mit leichtem Gepäck los.

Gut - erstmal fünf Kilometer in die falsche Richtung. Dafür mit interessanter Straßeninstandsetzung (reißt einfach alles ab und schmeißt großen Schotter hin!), Postkartenpanoramen hinter jeder Kurve, dem vertrauten Läuten der Schafe und vielen vielen Hügeln.

Wer denkt, dass die Vesterålen weniger hügelig sind, täuscht sich. Jaha, die Berge sind ein wenig sanfter (manche zumindest) und lassen zwischen sich oft Raum für ein paar Schafweiden oder Äcker, aber das heißt nicht, dass die übliche Straßenführung Norwegens darunter leiden muss. Es geht also munter weiterhin hügelauf- und hügelabwärts. Beim Radfahren stören die vielen Kurven wenigstens weniger, als beim Autofahren.

Die ersten zehn Kilometer bin ich hoch erfreut, dass mein Knie wirklich viel besser geworden ist. Danach habe ich einfach nur ätzende Schmerzen, die nicht dazu beitragen, dass man zügig voran kommt.

35 Kilometer später sind wir nur einmal nassgeregnet (sicher nicht mehr als 3-5km), durch einen riesigen Steinbruch im laufenden Betrieb gefahren (das Förderband wurde einfach unter der Straße verlegt), haben zig Fotostopps gemacht, sind am Strand von Nyvåg vorbeigeradelt, haben die beiden Strände Hovdens geknipst und sitzen nun gemütlich am Hafen.

Über dem Kocher hängt eine zweifelhafte "Kartoffelcreme"-Tütensuppe, der Tee in der Kanne ist schön warm und wir gehen tapfer hin und her, um unsere eingefrorenen Zehen wieder aufzutauen. Hunger haben wir auch, man ist nicht schnell hier, gute zwei Stunden sind wir geradelt.

Die Suppe wärmt jedoch, der Tee umso mehr und nach dem "Lembas" sind wir auch wieder gut gesättigt. Wie schön, dass L. gerade das Tele auf die Kamera gesetzt hat, denn ein Seeadler schaut uns plötzlich von hoch oben zu, wie wir Mittag essen. UNGLAUBLICH!






Nach einer Weile verschwindet der Adler in Richtung einer der Schären, die dem Festland hier vorgelagert sind. Wir gehen den Hafenbereich ab, schauen auf die schneebedeckten Berge, auf die sich imposant auftürmenden Wellen, die Gischt und die zankenden Möwen. Es ist so schön hier. Spektakulär, unwirklich, atemberaubend. Das Wetter ist auch richtig schön. Bei 4°C und Sonne kommt es mir richtig warm vor. Vom Meer her ziehen zwar Wolken auf, aber noch sind sie einige Kilometer entfernt und schieben sich auch nicht direkt in unsere Richtung.












Wir hoffen, dass der Adler nochmal vorbeischaut und unsere Geduld wird belohnt. Ich entdecke ihn kurz vor der Abfahrt auf der gegenüberliegenden Schäre und L. schnallt blitzgeschwind das Tele wieder auf die Kamera.








Dann sehen wir eine gelbliche Wolkenwasserwand herannahen und beschließen, den Rückweg anzutreten. Wir strampeln und den Berg vor Hovden hinauf, werden dabei abermals von einem Seeadler von oben beäugt und als wir in Nyvåg einrollen, verschwindet der Hovden in dem Schneeregen-Wolkengebiet vollständig aus unserer Sicht. Der nächste Berg, wir strampeln und kämpfen. Nyvåg verschwindet genauso schnell hinter dem Wasservorhang.

Wir bleiben trotzdem kurz stehen, um nochmal Strandfotos zu machen, außerdem zickt dieses Knie und die elendigen Höhenmeter, die es zu bewältigen gibt, machen die Fahrt nicht einfacher.






Kurz vor dem Steinbruch erreicht uns der Schneeregen. Die Temperatur, die abhängig von "Sonne draußen" und "Sonne hinter Wolken" den ganzen Tag zwischen 1 und 4°C schwankte, fällt noch ein Stück. Bei -1°C sehe ich meinen Atem kondensieren. Es wird wirklich ungemütlich zu fahren, die Zehen wieder eisekalt. Die Höhenmeter, die den Rest des Körpers warmhalten, die Anstrengung sich die Berge hinaufzukämpfen, der kalte stoßweise Atem bergauf, der sich auf meiner Brille niederschlägt und erst beim bergab fahren wieder klare Sicht zulässt. Die letzten 10 Kilometer ziehen sich sehr. Ich mache noch extra Druck, weil das Knie so schmerzt und nervt und ich unbedingt heiß duschen will.

Hinter Rinse hört es wenigstens auf zu schneeregnen und dann mehren sich die Schilder nach Ringstad, nur noch drei Hügelkuppen und wir sausen die letzten paar Meter zum Sjøhus an den Hafen runter.

Mit eisekalten Zehen und sehr erschöpft sind wir nach 65km Fahrt mit 758 Höhenmetern (neuer Rekord!) wieder zurück und ich dusche mich erstmal warm. Unten in der Küche wird schon wieder sehr lecker gekocht, aber wir hatten ja nicht im Lotto gewonnen. Daher mache ich Eierkuchenteig und wir stärken uns im Appartement. (Plattentektonik am praktischen Beispiel, #Eierkucheneuphemismus)





Ich telefoniere mit dem Mann, der weit entfernt zu Hause die Stellung hält. Und was wir besprechen ist einen ganz eigenen Post wert, ich seufze hier einfach mal nur.

Fazit heute: längste Strecke so far, mit den meisten Höhenmetern, mit spektakulären Aussichten und einer Begegnung mit einem Seeadler. Hovden ist ein wunderbarer minikleiner Ort!