Donnerstag, 4. Oktober 2018

Blick zurück... (Tag 23)

Der letzte Tag bricht an und ich bin um 7:00 wach und stehe auf. Blick aus dem Fenster: Sonnenaufgang mit Wolken.



Als ich aus dem Bad komme, sehe ich wiederum durchs Fenster, wie sich ein Teil der Mitarbeiter zum Kajakfahren bereit macht - im Schneeschauer. Innerhalb von fünf Minuten liegt über allem eine dünne Schneeschicht. Die Sonne bleibt nur mehr ein kurzes Aufblitzen zwischen dicken grauen Wolkenwänden.



Ich mache noch ein Bild der Kajaks auf dem Wasser und kurz darauf scheint die Sonne wieder auf den Fjord.




L. steht auf und zum Abschluss unserer Zeit hier gehen wir heute zum Frühstück runter. Wie immer: sehr sehr lecker. Wir unterhalten uns eine Weile, trinken eine Badewanne Kaffee und verzögern unseren Aufbruch zur letzten Wandertour wegen "Schneeregen draußen!" - "Ich muss nochmal Kaffee wegbringen." "Jetzt ist Sonne, wir sollten los." - "Kaffee wegbringen." - "Schneeregen."

Dann ist aber doch gepackt, wir in viele Lagen Kleidung gemummelt und gestiefelt. Wir fahren nur ein kurzes Stück bis nach Steine und finden auch gleich den Parkplatz, von dem aus der Wanderweg uns von Seelevel auf 467m ü. NN bringen soll. Mitunter wird dies der allerbreiteste, bestausgeschilderste und streckenweise sogar flache (!!!!!) Wanderweg, den ich bisher in Norwegen begangen habe.

Als wir losgehen, fallen dicke Schneeflocken auf die herbstlichen Birken, an denen noch gelb verfärbte Blätter hängen. Erst mal führt der Weg eine Weile knackig bergauf, felsig, ein ausgetretener Trampelpfad, mit wenig losem Geröll, vielen natürlichen Stufen und quer durch Birkenhaine und moosige Graslandschaft. Bei 1°C, Schnee und Windstille norwegisiere ich vor mich hin, aka ich muss dringend aus mindestens einer Schicht Kleidung raus. Ich trug bis dahin: Baselayer, Merinoshirt, Daunenjacke, Regenjacke.





Die Daunenjacke durfte erstmal im Rucksack verschwinden, diese Hitze hält ja niemand aus. Recht schnell erreichen wir die Losjehytta nach einem Drittel der Strecke. Ab dort geht es auf dem Bergkamm einfach mal gerade voran, ganz ohne Steigung. Ein merkwürdiges Gefühl so frisch drauflos wandern zu können. Inzwischen haben die Wolkenreigen sich verschoben, wir gehen nun angestrahlt von Sonne, die immer wieder hervorscheint und der Schnee liegt nur noch zu unseren Füßen, fällt aber wenigstens nicht mehr von oben runter. Kurzum: es ist plötzlich winterlich und absolut herrlich.

Die Landschaft auf dem Kamm ist praktisch nur noch moosiges Grasland, Birken oder andere Sträucher gibt es hier nicht, das grün-gelb-rote Gras wird nur von herumliegenden Felsen unterbrochen. Links, rechts und hinter uns erstrecken sich die Vesterålen in all ihrer Pracht. Winzig kleine Dörfer am Meer, vorgelagerte Schären, mächtige Felsformationen, tief ins Land schneidende Fjorde, kleine Strandbuchten. Kaum weiß man, wohin man als erstes schauen soll, gibt es doch so viel zu entdecken und alle paar Meter gibt der Berg eine neue Aussicht preis. Vieles ist jetzt in Sonnenlicht getaucht, während manche Einschnitte noch tief im Schatten liegen.

Dann, als hebe jemand den Vorhang, taucht aus den Wolken eine weitere Bergkette im Süden auf. Schroffe, hohe Massive, nur dürftig vom Schnee in ein freundlicheres Äußeres gekleidet. Wir schauen zurück zum Beginn - diese Massive dort im Süden, mit jeder ziehenden Wolke besser zu erkennen, sind die Lofoten, wir schauen nach Austvågøya, Vestvågøy und immer weiter nach Westen bis die Berge wieder in offenes Meer übergehen. Im Osten hingegen erhebt sich Hadseløya mit Stokmarknes und der markanten Brücke, gerade ankert dort die Hurtigrute.
Diese ganze Strecke pedalierten wir Tag um Tag, bepackt mit unseren schweren Taschen und jeden Tag bepackter mit Eindrücken und Erfahrungen. Heute, am letzten Tag hier, lüften die Wolken sich für ein letztes Auf Wiedersehen.

Frohen Mutes wandern wir immer weiter den Kamm entlang, ein paar Höhenmeter machen wir wohl doch, denn der Schnee wir ein paar Zentimeter tiefer. Ein paar Hundert Meter vor unserem Ziel stehen dann die fehlenden Höhenmeter an. Ab jetzt geht es in etwa 6-8cm tiefem Schnee auf felsigem Untergrund recht steil hinauf. Bergauf ist es zum Glück nur an wenigen Stellen rutschig, auch der Schnee ist so fest, dass man nicht bei jedem Schritt wegzurutschen droht. Dafür hat sich unsere Geschwindigkeit dramatisch gesenkt, denn jeder Schritt muss bewusst und sicher gesetzt werden, die Steigung ist harsch und kaum hat man mal genug Platz beide Füße nebeneinander zu stellen. An jedem großen Felsen, der mit einem "T" versehen ist (Wegmarkierung), bleiben wir kurz stehen, um zu verschnaufen. Dann setzen wir wieder konzentriert einen Fuß vor den anderen, erklimmen die letzten Höhenmeter und stehen dann auf einem großen Plateau. Vor uns, auf 467m Höhe steht eine rundliche Hütte.

Die Wolken haben sich noch weiter verzogen und ein atemberaubendes Panorama breitet sich zu unseren Füßen aus. Fotografieren, Kocher anmachen, Essen erwärmen. Unser Mittagessenplatz ist heute drinnen.





Es ist absolut zwar nicht wirklich kälter, als unten zu Beginn unserer Wanderung, doch schnell merken wir, wie Zehen und Finger kalt werden. Noch ein paar Bilder, man kann sogar unsere Unterkunft, das Sjøhus in Ringstad, von hier aus erkennen. L. entdeckt einige Meter unter uns ein Seeadlerpaar, dass jedoch nicht zu uns heraufblickt, sondern weite Kreise zieht.








Ein schnelles Selfie, uns ist inzwischen eisekalt geworden und dann nehmen wir all unsere Kraft und Konzentration zusammen für den Rückweg. Bis zum Bergkamm muss jeder Schritt perfekt sitzen, runter ist es viel rutschiger, der Weg ist sehr steil und nicht immer sieht man, ob der Fuß gleich festen Halt finden kann. Eine Weile klettere ich mehr gehockt, als dass ich stehe. Meine Zehen sind so kalt und unbeweglich, dazu zickt mein Knie bei jedem Meter hinunter so sehr, dass ich es kaum belasten kann. Ungünstige Voraussetzungen für eine so anspruchsvolle Tour.

Aber auch das ist bald geschafft, der flache Bergrücken liegt vor uns und da wir nun ordentlich Tempo machen können, sind auch Finger und Zehen schnell wieder warm. Schon sind wir an der Hütte, zurück im Birkenhain und da sehen wir auch unser Auto auf dem Parkplatz warten.

Zurück in Ringstad: waschen, trocknen, räumen, packen. Ich bin sehr sehr müde und kalt, erst nach einer heißen Dusche und einer heißen Schokolade wird es langsam besser. Ich frage mich, wie ich noch sooo lange aufbleiben soll.

Wir essen Dinner im Restaurant, es ist so lecker, wärmend und gut. Dann zahlen wir wehmütig, keiner möchte diesen Ort hier verlassen.

Der Trockner ist durch, die letzten Sachen zusammengelegt. Alles passt wieder in die Packtaschen, die Fahrräder liegen schon im Kofferraum. Gegen Mitternacht werden wir aufbrechen nach Sortland und dort um 2:45 hoffentlich ohne Zwischenfälle die Hurtigrute nach Tromsø besteigen.