Samstag, 20. Juni 2015

Lieber Herr Jurist...

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich an einem Freitag Nachmittag für zehn angehende Absolventen die Zeit genommen haben, um mit ihnen über Bewerbungsunterlagen zu sprechen. Ich finde es gut, dass Sie sich ehrenamtlich dafür begeistern können und das sogar während Ihrer Elternzeit.

Ein paar kleine Anmerkungen möchte ich trotzdem loswerden.

Punkt 1: Sie brauchen keine PowerPoint Präsentation, wenn sie sowieso nur hektisch zwischen den Folien hin und her springen und sich von jeder Folie gerade den Punkt raussuchen, der zu dem passt, was Sie gerade sagen. Das stört und kostet nur unnötig Zeit. vielleicht entscheiden Sie sich beim nächsten Mal lieber nur für eine Sache? Entweder sich am PP-Vortrag entlanghangeln - oder abhängig von den eingeworfenen Fragen Antworten geben und weitere Informationen hinzufügen.



Punkt 2: Vielleicht hat es Ihr Studium ja mit sich gebracht, dass Sie sich niemals festlegen - man könnte ja wegen einer nicht ganz präzisen Aussage or Gericht geschleppt werden? Ich weiß es nicht. Für Studenten, die gerne wissen möchten, wie Bewerbungen aus Personalersicht ankommen, ist es jedenfalls absolut nicht hilfreich eine Aussage zu treffen, um sie im nächsten Satz sofort wieder abzuschwächen oder gar ganz zurückzunehmen.

Gesprächsführung: verbesserungswürdig

Punkt 3: Sexistische Äußerungen sind diskriminierend und lassen Sie auf der "Der Herr weiß, was er dort sagt, es lohnt sich ihm zuzuhören"-Skala ganz schnell im Boden versinken. Nein, Jobs im öffentlichen Dienst sind NICHT primär spannend für Frauen, weil man dort häufig in Teilzeit arbeiten kann.
O-Ton (1): "Im ÖD gibt es viele Teilzeit-Jobs - das ist ja besonders für sie Frauen interessant."
Sie hatten dort sieben Frauen sitzen, die entweder schon höchstqualifizierte Abschlüsse haben oder bald haben werden. Diese Frauen werden wohl kaum nach Wegen suchen, sich erfolgreich zu bewerben, weil sie einen schnuckeligen TZ-Job suchen, der ihnen nicht viel Stress macht.

O-Ton (2): "Das ist ein Bewerbungsfoto meiner Frau. Und wie finden sie Sie?"  WTF!
Mehr fiel mir zu so einer Aussage gar nicht sein. Weder interessiert es mich, wer Ihre Frau ist, noch wie sie aussieht.
Interessant wäre gewesen, ob das Bewerbungsfoto den Personaleransprüchen genügt, ob es die gängige Form wahrt und an der richten Stelle in den Unterlagen ist.

Auf die Frage, ob man Kinder im CV erwähnen sollte, oder nicht, sagen Sie:
O-Ton (3): "Kinder? Katastrophe!"
Und danach wanden Sie sich ein wenig und beantworteten die Frage wie alle anderen mit: "Ja, man kann sie weglassen oder eben auch nicht."

Sinn für Gleichberechtigung: Setzen, sechs.

Punkt 4: Nur eine kleinere Randnotiz, aber da sie ja betonten, dass sie selbst Akademiker sind, passt es doch. Post-Doc-Stellen sind ganz klassische Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter, die ihre Projekte noch eine Weile weitermachen (oder sogar die Arbeitsgruppe wechseln, um etwas neues zu machen), um danach die endgültige Entscheidung "Uni oder Industrie" zu treffen.

Punkt 5: Muster-CVs und Anschreiben von Menschen, die schon in x Firmen gearbeitet haben und zehn Jahre Berufserfahrung im Lebenslauf unterbringen müssen, sind für frische Hochschulabsolventen etwa so hilfreich wie der vergammelte Joghurt im WG-Kühlschrank.

Vorbereitung auf das Klientel: verbesserungswürdig

Punkt 6: Ihnen passt offenbar Ihr Job nicht, das haben wir alle bemerkt. Ja, ich glaube Ihnen sogar, dass Personaler einen stressigen Job mit vielfältigen Aufgaben haben. Natürlich ist es dann anstrengend, wenn man hunderte von Bewerbungen sichten muss und gleichzeitig Mitarbeitergespräche führen soll und Kündigungen schreiben. Aber es ist Ihr Job - wenn der Ihnen nicht mehr gefällt, suchen Sie sich etwas neues, aber jammern Sie nicht potentielle Bewerber voll, wie anstrengend es doch auf Seite des Personaler ist. Wissen Sie - wir brauchen alle einen Job, sonst stehen wir am Ende beim Arbeitsamt - SIE haben einen Job. Und das heutige Bewerbungsverfahren ist auch nicht gerade ein Spaziergang.

Jammern auf deutschem Niveau: Hervorragend.


Persönliches Fazit: Die zwei Stunden hätte man sich sparen können. Der Workshop hieß "Bewerbungen aus Sicht des Personalers", außer dem Einheitsbrei, den auch jeder beliebige Bewerbungsratgeber oder Google hergibt, gab es keinerlei neue Informationen. Der Teil "aus Sicht des Personalers" war bis auf ganz wenige Sätze (Personaler gucken NUR nach Qualifikation. Personaler sind von Rückrufen von Bewerbern genervt) praktisch nicht existent. Der Dozent hatte keine Ahnung von den unterschiedlichen Anforderungen, die an Geistes- und Naturwissenschaftler gestellt werden.
Überflüssig. Die Zeit hätte man mit Stellensuche effektiver verbringen können. Schade.